Willkommen bei STGall, - der Spitzengeschichte
die Kunst Frauenarbeit unsichtbar zu machen
Die aktuelle Ausstellung im Textilmuseum St. Gallen verspricht‚
anhand der weltweit bedeutendsten Sammlungen ….. 'in einer in dieser Art
erstmaligen, umfassenden Übersicht die facettenreiche, einzigartige
Geschichte der handgefertigten Spitzen, die zum Kulturgut von
St.Gallen zählen, darzustellen.
Quelle: Ausstellungsflyer |
Schon als junges Mädchen wurde ich von meiner Patentante in
St. Gallen, Alma Frey-Hubeli, auf handgefertigte Spitzen aufmerksam
gemacht und von ihrer Begeisterung für diese künstlerisch grossartigen
Fadenarbeiten angesteckt.
Auf Kopfkissenüberzügen, Leintüchern, Tischwäsche, und anderen Textilien
aus Leinen applizierte meine Patin mit Leidenschaft und grosser Liebe
alte hand-gefertige Spitzen, welche sie als fundierte Kennerin sammelte,
wusch, sorgfältig stärkte und bügelte.
Für meine Aussteuer liess sie verschiedene Stickerinnen im
Appenzellerland die typisch in blau gearbeiteten Hohlsäume in unsere
Leintücher und Kopfkissenbezüge sticken. Ich durfte sie damals auf diese
Auftragsgänge begleiten. Wie staunte ich als junge Frau aus der Stadt
über die Kunst der Appenzellerinnen und über ihre oft bescheidenen
Einrichtungen an Stickrahmen und Lichtquellen in den niederen Stuben der
abgelegenen Bauernhäuser!
Als ich von obiger Ausstellung erfuhr, freute ich mich riesig auf die
angekündigte umfassende Übersicht dieser Schätze.
Die abgedunkelten Räume des Museums ermöglichen ein meditatives
Eintauchen in diese Zauberwelt der handgefertigten Spitzen. In den
Vitrinen im ersten Saal des zweiten Stockes zeigen insbesondere
Klosterarbeiten prächtige Kunstwerke an Altartüchern und an Spitzen für
die Gewänder von Bischöfen und Kardinälen.
Im nächsten und übernächsten Raum dominieren die Gewänder von Adligen
und Fürstinnen, darunter als Höhepunkt ein Bildnis Kaiser Napoleons,
allesamt mit kostbaren Spitzen verziert.
Im vierten Saal mit dem noblen Frauengewand in Mauve, zentral im Raum
ausgestellt, überkam mich zum ersten Mal ein Gefühl von Überdruss
gegenüber dem inszenierten Prunk all der WürdenträgerInnen.
Anfangs konnte ich diese Empfindungen nicht richtig deuten, aber in
Anbetracht der übrigen Ausstellung wurde mir immer deutlicher bewusst,
dass innerhalb all der prächtigen Exponate die Schöpferinnen dieser
Kostbarkeiten unsichtbar bleiben.
Ausser dem Gemälde van Delfts ‚Die Spitzenklöpplerin’ ist weder in
Bildern noch im Text des Ausstellungsführers auch nur die winzigste
Prise Respekt und Anerkennung für die kreativen, künstlerisch
begabten, begeisterten und fleissigen Urheberinnen der handgefertigten
Spitzen zu finden!
Nach der Ausstellung erschreckt diesen Mangel bedenkend, glaubte ich
noch, mich getäuscht zu haben – wir hatten wohl bei unserem Rundgang
einen Saal im Museum übersprungen oder die Darstellung der Spitzen- und
Klöppelkünstlerinnen sonstwie übersehen. Also fragte ich telefonisch im
Museum nach. So erfuhr ich, dass die Ausstellungsmacher bewusst
darauf verzichtet hätten, die Urheberinnen all dieser feinsten
handgefertigten Kunstwerke und später die (Maschinen)-Stickerinnen zu
erwähnen, weil das ‚den Rahmen der Ausstellung gesprengt hätte’.
Wie ist es möglich, frage ich mich, dass der international renommierte
St.Galler Stoff-Designer Martin Leuthold und der Luzerner Kostümbildner
Bernhard Duss in Zusammenarbeit mit der Kuratorin des Museums, Ursula
Karbacher, Frauen aus 5 Jahrhunderten, welche unter oft schwierigsten
Bedingungen wundervolle Kunstwerke geschaffen haben, kurzerhand
unsichtbar machen?
Auch im Text des Ausstellungsführers werden die Spitzenkünstlerinnen
lediglich Arbeiterinnen oder Spitzenmacherinnen genannt, während die
Männer, welche viel später in der Geschichte maschinell hergestellte
Spitzen fertigen, Sticker sind.
Dies alles unter dem Versprechen der Ausstellungsmacher, den
Besucherinnen und Besuchern eine umfassende Übersicht der Geschichte
der Spitze zu gewähren?
Seit Jahrtausenden versuchen patriarchale Geschichtsschreiber das
Wirken von Frauen in der Kulturgeschichte abzuspalten, lächerlich zu
machen oder als irrelevant zu diskriminieren.
Dass dies aber im Jahre 2011 mit einer der weiblichsten Handfertigkeiten
seit Menschengedenken noch immer geschieht, ist meiner Meinung nach ein
Skandal.
Natürlich beinhaltet die Geschichte der später maschinell
hergestellten Spitzen ein grosses Wissen und professionelles Können von
Handwerkern und Maschinen-bauern.
Der Ursprung handgefertigter Spitzen kommt aber aus Frauenhand
und beinhaltet immer mehr als das handwerkliche Können, denn:
Textile Frauenhandarbeit ist in allen Kulturen der Welt (auch)
die Metapher für das Gewebe der Zeit, (und) für ihr Verrinnen.
Martin Heller, Ausstellungsmacher |
Die in StGall gezeigte Spitzengeschichte wurde ihrer Wurzeln beraubt
und hinterlässt aus diesem Grunde einen enttäuschend mangelhaften
Überblick über die Geschichte der Spitzen.
Respekt und Anerkennung vor den Leistungen und Kunstwerken Einzelner
sind Pfeiler der Kultur in unserer Gesellschaft.
In diesem Sinne steht die herrliche Ausstellung in STGall auf
tönernen Füssen.
Aarau, November 2011
Elisa Bolliger-Eggli, Aarau
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